Interview mit Jürgen Hofmann, Sprecher des FAN-Beirates in Lichtenberg

Jürgen Hofmann an der Alten Frankfurter Allee, U-Bahnhof Lichtenberg

Frankfurter Allee Nord: „Da kannste einfach nich‘ meckern…“

Jürgen Hofmann (61) ist seit 2013 Mitglied im Beirat für das Fördergebiet Frankfurter Allee Nord und seit vielen Jahren auch einer der beiden Sprecher. Wir befragten ihn anlässlich des 10-jährigen Bestehens des Fördergebiets nach seinen Beweggründen für das Ehrenamt.

Herr Hofmann, Sie sind quasi ein Urgestein des Beirates. Warum sind Sie so lange dabei geblieben?

Ja, unser FAN-Beirat existiert seit 2013. Zwei Jahre zuvor gab es den förmlichen Beschluss vom Senat – damals noch unter dem Namen: Stadtumbau-Ost. Das Gebiet reicht vom Friedhof der Sozialisten bis zur Möllendorffstraße und von der Gotlindestraße bis zur Frankfurter Allee. 

Unser Gebiet sah vor 10, 15 Jahren noch ganz anders aus. Die Infrastruktur war zum Teil beschädigt oder runtergekommen. Da wollte man handeln. An die Festlegung als Sanierungs- und  Fördergebiet waren bestimmte gesetzliche Erfordernisse gebunden, eben auch eine Bürgerbeteiligung. Der Sanierungsbeirat sollte diese repräsentieren. Wir haben das Gesetz beim Wort genommen und uns gesagt, wir machen das. Da mischen wir uns auch ein! Vielleicht nicht immer zur Freude des Bezirksamtes. Aber inzwischen respektieren wir uns gegenseitig. Uns geht es nicht darum herumzunörgeln, sondern tatsächlich aus Sicht der Anwohner zu gucken, was nötig ist. Wir kennen die Probleme. Unsere Aufgabe sehen wir darin, das Bezirksamt und die Gebietsbeauftragte darauf hinzuweisen: Hier müsste etwas getan werden!

Herbst 2021: Auf die Verkehrsberuhigung am Rodeliusplatz wies der FAN-Beirat lange hin

Ihr Vorteil ist: Sie kennen das Gebiet wie Ihre Westentasche. Was machte früher den Kiez aus?

Ick bin hier jroß jeworden, wie der Berlina so sacht. Ganz ehrlich, ich hatte nie das Bedürfnis Alt-Lichtenberg – wie der Stadtteil seit der Wende wieder heißt – jemals zu verlassen. Wir waren ja von 1907 bis 1920 eine eigene Stadt – mit der großen Kirche am Rodeliusplatz, dem Gericht, dem Finanzamt, dem Klinikum, dem Stadtbad und der großen Schule am Rathauspark. Dit war meene Schule! Heute nach der Sanierung wieder ein Schmuckkasten! In meiner Kindheit waren große Flächen Kleingärten. Ja, da staunt man. Wo heute die Plattenbauten stehen, reihte sich Parzelle an Parzelle. Alt-Lichtenberg hatte in den 1960er Jahren noch einen dörflichen Charakter. Da kam noch der Milchwagen die Ruschestraße runter. Wir als Kinder hinterher und bekamen eine Kelle frische Milch… Herrlich war dit.

Doch natürlich muss man auch sehen: Vieles war runtergekommen. Es gab große Baulücken, z.T. noch durch den Krieg. Viele Wohnungen hatten kein Bad, die meisten Kohleheizung. Smog sagten wir zwar nicht im Osten, aber im Winter morgens war allet grau.

Was hat sich seit der Wende getan?

Man sieht es als erstes an der Bebauung. Vom Ringcenter bis zum Bahnhof Lichtenberg stehen viele neue Gebäude. Auch die Bevölkerung ist innerhalb von 10 Jahren um etwa 30 Prozent gewachsen. Dass ein großer Teil jüngerer Leute - auch aus anderen Ländern – zugezogen ist, hat sicherlich mit den hohen Mieten in der Innenstadt zu tun. Da bietet Lichtenberg eine sehr gute geographische Situation, genau am S-Bahn-Ring. Ich komme aus meiner Wohnung direkt zur U-Bahn und bin in 15 Minuten am Hauptbahnhof. Also eine bessere Verkehrsanbindung gibt es eigentlich nicht. Und in die andere Richtung ist man auch schnell am Tierpark oder raus Richtung Biesdorf, wo allet grün ist... Da kannste nich‘ meckern!

Trotzdem wurde „gemeckert“? Welche Sorgen hat man an Sie herangetragen?

Viele Ältere sagen, dass es nicht so weit hätte kommen müssen. Wir hatten keinen Luxus, aber dort oben z.B. an der Hagenstraße hatte man in den 1960er/70er Jahren einen Bildungsstandort gebaut. Da war alles an einer Stelle – von der Krippe bis zur Oberschule, von der Turnhalle bis zum Sportplatz. Das verfiel nun. Weil die Schülerzahl sank, hat man Einrichtungen abgerissen, verfallen lassen oder die Instandhaltung verschoben. Na ja, das waren die Spar-Jahre. Trotzdem wäre es besser gewesen, manche Objekte für eine Zwischennutzung fit zu machen. Dort, wo es eben nicht genug Schüler gab, wäre immer noch Platz für Jugendclubs oder ähnliches gewesen.

Haus 18 des ehem. Ministeriums für Staatssicherheit der DDR auf dem Geländes des Campus für Demokratie

Ganz besonders problematisch ist die Situation am heutigen Campus für Demokratie. Das ist ja ein Entwicklungsgebiet mittendrin…

Wir haben immer noch zu kämpfen mit dem Stigma des ehemaligen MfS. Normannenstraße ist bis heute eine Adresse, die viel Stirnrunzeln hervorruft. Ganz klar, man hätte dort sehr früh nach der Wende anfangen müssen, neue Nutzungen reinzubringen, um diesem Makel – unter dem die Leute hier leiden – zu begegnen. Da gibt es das Haus 18. Dort hatte sich die Stasi einen Kinosaal reingebaut, es gab Einkaufsmöglichkeiten und viele Vorschläge, damit etwas Neues zu beginnen. Aber alle hoben die Hände – zu heikel. In den vielen Jahren haben sich verschiedene Eigentümer – private Investoren, engagierte Initiativen, der Bezirk, das Land und der Bund – das Gelände aufgeteilt. Die jetzt an einen Tisch zu bekommen, ist ein Riesenproblem.

Der Beirat bei seiner letzten Wahl, Herbst 2019, 2.v.l.: Jürgen Hofmann

Kehren wir zurück zu Ihrem Amt als Sprecher des FAN-Beirates. Wie haben Sie die Entwicklung seit 2011 begleitet?

Natürlich war es unsere Aufgabe, diese Stimmung aus der Bevölkerung in die Prozesse der Stadterneuerung mit einzubringen. Wir als Beirat waren unterwegs und haben die Meinungen eingesammelt und die Vorschläge übermittelt. In unserem Gremium sind ja Vertreterinnen und Vertreter aus verschiedenen Einrichtungen. Es waren anfangs auch Geschäftsleute dabei, die sich eine Unterstützung versprochen hatten.

Wir bilden mit unserer Stammgruppe – im Moment sind wir etwa 15 Leute – durchaus auch ein Spektrum der Nachbarschaft hier ab. Wir halten alle zwei Jahre öffentliche Wahlen ab, da kann sich jede und jeder bewerben. Aber dann heißt es auch mitmachen. Wir beschäftigen uns mit mehreren Themen. Immer wieder wichtig ist der Verkehr: das Parken, die Bus- und Straßenbahnhaltestellen, die Raserei die Alfredstraße runter, fehlende Radwege und vieles mehr. Wir sind auf jeder – wirklich jeder – Veranstaltung zum Fördergebiet vertreten. Es gab bis Corona fast jedes Jahr eine FAN-Konferenz mit 100 Gästen. Zum Glück bekommen wir immer auch Rede-Recht. Frau Dahlke vom Bezirksamt und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von der Gebietsbeauftragten Stattbau unterstützen uns da sehr.

Was hat es mit dem FAN-Fonds auf sich?

Wir verfügen als ehrenamtlicher Beirat über eine Kasse, aus der wir kleine Projekte in der Nachbarschaft finanzieren. 15.000 Euro jedes Jahr! Der ist natürlich Klasse, und wir machen immer Werbung, den auch zu nutzen. Da kann man Kita-Höhepunkte vorbereiten oder ein Stadtteilfest oder etwas Sportliches - wie hier am Zoschke-Stadion oder in einem der Parks. Wichtig ist, es muss öffentlich für die Anwohnerschaft sein. Über die Vergabe entscheiden wir. Es gibt da immer wieder tolle Ideen. Natürlich passen wir auf, dass dieses Geld nicht als Ersatz für Regel-Finanzierungen des Bezirksamtes gedacht ist. 

Im Moment bereiten wir eine Broschüre vor, in der wir anschaulich darstellen, welche Projekte durch Stadtumbau / Nachhaltige Erneuerung auf den Weg gebracht wurden und welche Kleinprojekte wir unterstützen konnten.

Der neue Rathauspark - konzipiert unter Mitwirkung des FAN-Beirates

Worauf ist der FAN-Beirat stolz?

Da kann ich gar nicht wieder aufhören, das aufzuzählen. Dieser Grüngürtel: vom Rathauspark, über den alten Friedhof zum Freiaplatz zum Nibelungenpark, der lange Zeit eine Brache war, und weiter zum Landschaftspark Herzberge. Wunderschön. Wer hat so etwas schon mitten in Berlin? Klar sind wir stolz, wie toll die Spielplätze geworden sind und wie schön die Kindergärten jetzt aussehen. Oder das besondere Holzhaus – eine Freizeiteinrichtung für Kinder und Jugendliche, sowie die Ergänzungsbauten an den Bestandsschulen. Das Ganze in 10 Jahren! Da kannste wirklich nur staunen! Am Rodeliusplatz geht es auch voran. Da ist der Spielplatz fertig und bald auch die Straßenkreuzung, wo der Verkehr entschleunigt werden soll. Losgehen wird es bald mit dem Bau von zwei neuen Kitas (Gudrun- und Gotlindestraße). Und wenn dann der Vorplatz vom Friedhof der Sozialisten in diesem Jahr begonnen wird, sind wir bald auf einer Insel, auf der es alles gibt. Dass wir das mitbegleitet haben, Für und Wider diskutiert haben, mit den Architekturbüros im Gespräch geblieben sind, mit dem Bezirksamt, der Verwaltung und immer auch mit den Bürgerinnen und Bürgern und den Einrichtungen – das ist ein Erfolg.

Die alte Frankfurter Allee am Bahnhof Lichtenberg

Welche Aufgaben sind noch offen?

Es gibt tatsächlich noch einiges zu tun. Sie können es uns glauben: Wir bleiben dran, wegen der jungen Familien, die hier wohnen, auch wegen der Flüchtlinge in den Heimen. In der Diskussion ist ein Regenwasser-Konzept. Das brauchen wir, sonst sind uns die Parks bald vertrocknet und das schöne Geld ist dahin. Konkret wird das bei der geplanten Umgestaltung des ehemaligen, entwidmeten Friedhofs Rudolf-Reusch-Straße.

Ein weiterer Komplex ist der Verkehr im Wohngebiet. Der muss grundsätzlich überdacht werden. Für Ältere, die es weit zum Bus haben, für Kinder, die manche Straßen kaum überqueren können und für die Leute mit dem Auto. Die sollten ihr Fahrzeug so parken, dass sie die Bürgersteige nicht vollstellen.

Womit wir als FAN-Beirat oft konfrontiert werden, ist die Situation auf der Alten Frankfurter. Dort wurden viele Häuser nach der Wende verkauft oder haben den Besitzer gewechselt. Nun ist dort eine Mono-Wirtschaft entstanden, die vor allem aus Imbissläden,  Spielsalons und Shishabars besteht. Das sind für viele alteingesessene Nachbarn nicht unbedingt Orte, wo sie verweilen möchten. Wir wünschen uns mehr Vielfalt. Unsere Idee ist, dort eine Fußgängerzone auszuweisen und dann neue Gewerbemieter zu suchen. Solche Themen beschäftigen uns, und das sicher auch noch über Jahre.

Der Traum, hier wieder baden zu können, bleibt vorerst Utopie

Ein wichtiges Anliegen ist Ihnen das Stadtbad?

Eigentlich gehört dieser Komplex ja nicht zum Fördergebiet als solches. Aber uns als Bürgerinitiative fürs Stadtbad gab es schon vorher. Viele kennen es aus der Kindheit. Und wenn wir Leuten, die hergezogen sind, alte Fotos zeigen, sind die ganz erstaunt und fragen sich, warum das verfällt. Das Hubertsbad war das einzige weit und breit – mit Sauna, zwei Schwimmhallen, medizinischen Einrichtungen, Sport- und Massageräumen. Wir haben über 25 Jahre auf den Leerstand und den sichtbaren Verfall hingewiesen. Es liegt wie das MfS-Gelände inmitten des Fördergebietes Frankfurter Allee Nord, wird aber nicht über diesen Topf saniert. Wir als FAN-Beirat sind da nicht wirklich beteiligt. Zum Glück versucht die Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM), die gröbsten Mängel zu beseitigen. Das derzeitige Ziel scheint leider nur eine Zwischen-Nutzung ohne Bad zu sein! Ganz im Gegensatz zu unserer Bürgerbefragung. Da bekamen wir 800 Zuschriften. 90 Prozent  wollten wieder eine Schwimmhalle. Es würde mich freuen, wenn die Stadt mit uns gemeinsam das ganze Konzept noch einmal neu durchdenkt. 2028 wird das Bad 100 Jahre alt. Es wäre nicht nur mein Traum, wenn dann wieder geschwommen werden könnte. Wäre jedenfalls eine tolle Vision.

Wo wir bei Visionen sind: Wie sehen Sie den Stadtteil in 5 Jahren?

Wir vom FAN-Beirat werden uns weiter einbringen, unabhängig davon, ob es dann immer noch so viel Geld gibt wie heute. Na ick hoffe, dass dann die jungen Familien, die aus anderen Ländern herkommen, hier dit Ruder übernehmen und auch die Bürgerbeteiligung. In fünf Jahren sind sicher die neuen Kitas eröffnet und die Schulen komplett. Und für uns Alte gibt es dann noch mehr Orte, die barrierefrei sind. Vielleicht haben wir dann schon einen Kiezbus für die langen Fußwege. Wir werden ja alle älter.

Jedenfalls war das ein Glücksfall, dass wir als Stadtteil diese Fördergelder bekommen haben. Und dann sind im Bezirksamt auch viele Leute, die wollen das auch. Das ist dort Konsens. Die haben durch die Bürgerbeteiligung auch dazugelernt. Also hat uns das alle wirklich nach vorne gebracht. Wenn Sie über den Platz hier gucken, wie schön grün das ist, da sage ick: so schön wars noch nie.

Ick als Jürgen Hofmann will mich einsetzen, dat dit so bleibt. Da gebe ick mein Wort drauf!

 

Das Interview führte Anka Stahl / bearb. Bianka Gericke

Stand: August 2023