Nadine Fehlert, Gebietsbeauftragte Charlottenburger Norden

Nadine Fehlert vor dem neuen Spielplatz U-Bhf. Halemweg

„Wir können die Stadt ein Stück besser machen!“

Gebietsbeauftragte: Kann man das studieren?

Nein, so direkt nicht. Ich habe Stadt- und Regionalplanung an der TU Berlin studiert und währenddessen bereits bei Jahn, Mack & Partner Einblicke in die Praxis gewonnen. Mit den Jahren wurde mir klar, das ist genau meins!

Was ist das Besondere an dieser Aufgabe?

Man braucht bestimmte Kompetenzen, und die kann man nicht wirklich „studieren“. Man muss Freude daran haben, Prozesse zu ordnen. Gebietsbeauftragte sollten die aktuelle Trends der Stadtpolitik und deren wichtigste Akteure kennen. Wir sind Generalisten – also geschult für den Blick aufs Ganze, dürfen dabei trotzdem Detailfragen nicht außer acht lassen. Manches – etwa die Fähigkeit, mit verschiedenen Menschen zu kommunizieren – kam bei mir erst in der Praxis. Auch das Gespür dafür, wie Menschen „ticken“, entwickelt man mit der Zeit. Wenn wir einen Stadtteil gestalten, treffen wir ja auf Menschen und Strukturen, die schon da sind. Denen etwas überstülpen zu wollen, kann nicht gelingen. Es gilt, zunächst zu beobachten, was war und was ist. Erst danach kann man überlegen, was kommt.

Wie schafft man es, in so kurzer Zeit ein 150-Seiten-Konzept zu erarbeiten, das bereits Maßnahmen für die kommenden 10 Jahre vorschlägt?

Solch eine Studie über ein Fördergebiet ist natürlich das Werk vieler! Unser Büro hat schon jahrelange Erfahrung und ist gut in der Stadt vernetzt. Ich selbst habe an mehreren solcher Integrierten Stadtentwicklungskonzepte (ISEK) mitgewirkt. Und natürlich ist das ein Spurt. Schließlich sprechen wir mit den Fachabteilungen des Bezirks und des Senats. Dann auch mit den Akteuren vor Ort, etwa in Schulen, Kindergärten, Kleingarten- und Sportvereinen. Und ganz wichtig: wir fragen die Nachbarschaft. Das alles ist sehr aufwändig, aber es lohnt sich.

Warum machen Sie sich eigentlich so viel Mühe mit der Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger? Das kostet doch viel Zeit, oder?

Möglich. Aber unsere Planungen sind ja kein Selbstzweck. Wir wollen unsere Stadt für kommende Generationen weiter entwickeln. Wenn wir deshalb das nähere Umfeld von Menschen verändern, ist es gerecht, wenn sie mitreden, aktuelle Probleme benennen und Fragen stellen. Wir Fachleute aus Planung, Verwaltung und Politik sollten uns die Zeit nehmen, zuzuhören. Wir erfahren in solchen Prozessen durchaus Dinge, die oft nur wenig Beachtung fanden. Für die Menschen im Kiez kann eine ganz bestimmte Einrichtung, ein Sportplatz oder Treff ganz wichtig für den Zusammenhalt sein.

So wird unsere Stadt idealerweise zu einem lernenden System. Die Nachbarschaft lernt, wie komplex Planungen heutzutage sind und wird angeregt, über den eigenen Horizont hinaus zu denken. Auf der anderen Seite lernt auch die Verwaltung: Manchmal wird erst im direkten Gespräch deutlich, was die Bewohner:innen vor Ort tatsächlich brauchen. Nicht selten liefert die Nachbarschaft selbst interessante Impulse und kreative Ideen. Der daraus entstehende Austausch kann richtig spannend werden, und wenn am Ende das Verständnis und die Wertschätzung füreinander auf beiden Seiten wachsen, ist das für mich fast der größte Erfolg.

Was hat Sie hier im Charlottenburger Norden überrascht?

Zunächst muss ich zugeben, auch ich kannte Charlottenburg-Nord wenig. Man ist daran vorbeigefahren und fertig. Die städtebaulichen Defizite fallen nicht gleich ins Auge. Ist ja schön grün und ruhig hier, vorausgesetzt, man ist weit genug entfernt von der Autobahn. Wirklich gefreut hat mich die Offenheit! Die Reaktionen aus der Bevölkerung waren und sind bis heute überwiegend positiv. In anderen Gebieten gelten Stadtplaner:innen gern als Vorposten der Gentrifizierung. Die wollen wir mit behutsamen Maßnahmen aber gerade vermeiden. Hier zwischen Jungfernheide und Jakob-Kaiser-Platz sind die Menschen froh darüber, dass etwas passiert. Manche hatten das Gefühl, vergessen worden zu sein. Zu sehr lag der Fokus in den letzten beiden Jahrzehnten auf dem Zentrum und auf den Bezirken im Ostteil der Stadt. Viele Nachbar:innen sind dankbar, dass wir den Dialog anbieten und sie bei Entscheidungen mitnehmen. Die Form des Dialogs muss dabei auch zum Kiez passen. Bislang erreichen wir über moderne Online-Befragungen nur einen kleinen Teil der Bevölkerung. Das wird sich entwickeln. Aber die Präsenz-Veranstaltungen (wir haben im Pandemiejahr 2020 sogar zwei durchgeführt!) waren immer bestens besucht. Und dann hatten wir 2018 die Idee für eine Gebietszeitung CHARLIE. Und das war richtig. Über diesen Weg können Verwaltung und die Bewohner:innen im Austausch bleiben – gerade in Pandemiezeiten ein nicht zu unterschätzender Vorteil. Die Leserinnen und Leser erfahren aus erster Hand, welche Maßnahmen anstehen und werden zugleich aufgefordert, mitzudenken und eigene Ideen zu entwickeln.

Warum sollen Menschen überhaupt Vorschläge unterbreiten, von denen sie möglicherweise nicht mehr profitieren? Anders gefragt: Warum sprechen wir über Konzepte weit in der Zukunft, wenn manche Probleme keinen Aufschub dulden?

Richtig, eine kluge Stadtpolitik muss beides ermöglichen: die Mitsprache bei kurz- und bei langfristigen Maßnahmen. Bezogen auf diesen Stadtteil sind wir auf einem guten Weg. So konnten die Bürger:innen kürzlich für das „Wege- und Freiflächenkonzept“ einem Fragebogen ausfüllen, wo sie sich Verbesserungen im grünen Umfeld wünschen. Die Forderung von Älteren und den Familien nach Instandsetzung von Sitzbänken und das Einrichten von Mietergärten kann man relativ zeitnah umsetzen. Da fühlen sich die Nachbar:innen ernst genommen und wissen, dass wir dran sind.

Entwurf der Büroarbeitsgemeinschaft Schultz-Granberg in Kooperation mit bbz Landschaftsarchitekten berlin für die Vision „Zentrum Halemweg 2030“

Eine ganz andere Dimension ist die Planung unseres Zentrums Halemweg. Dort denken wir tatsächlich weit voraus. Wir verlangen den Menschen viel Geduld ab, das wissen wir – auch mit Blick auf die schon heute dringend benötigten zusätzlichen Kitaplätze. Die Lösung dieses Problems wird noch eine Weile dauern. Aber es ist gut, wenn die Nachbar:innen die Vorschläge für das Areal kennen und ihre Wünsche und Bedürfnisse mit einbringen können. Damit setzen sie auch Schwerpunkte für die Zukunft. 

Einige Nachbar:innen erstaunte, dass vor dem Start des Gutachterverfahrens Zentrum Halemweg die Rahmenbedingungen nicht  bereits feststanden…

Das war ja genau unser Ansinnen. Eine grobe Aufgabe zu umreißen, ohne bereits jedes Detail festzulegen. Das Ziel war, aus dem Dialog zwischen Bürger:innen und den Fachleuten die bestmögliche Lösung für den Ort zu finden. Wenn man da keine Spielräume lässt, fühlen sich die Menschen nicht ernst genommen. Und genaus deshalb war die Vertagung der Jury-Entscheidung über das beste städtebauliche Konzept sogar ein Gewinn. Wenn es um eine so langfristige Planung geht, kann eine Ehrenrunde manchmal besser sein, als ein falscher, wenn auch schnellerer Kompromiss. Da fällt ein halbes Jahr mehr kaum ins Gewicht. Wichtig ist doch vor allem Transparenz, und dass Entscheidungen tragfähig sind. Jetzt sind die Rahmenbedingungen klar. Welcher Weg zum Ziel führt, darf die Praxis zeigen. Da gilt es Kompromisse auszuhandeln, mitunter das Tempo rauszunehmen oder – um im Bild zu bleiben – auch mal ein Schritt zur Seite zu gehen. Mit dieser Methode sollte es in Zukunft noch besser gelingen, die Planungen und Vorhaben auf Bundes- und Landesebene mit denen vor Ort zu verzahnen. 

Sie sind seit vier Jahren Gebietsbeauftragte. Was schätzen Sie am Förderprogramm und wo müsste man noch nachschärfen?

Ich bin überaus dankbar, dass 2020 der Schalter auf Nachhaltigkeit umgelegt wurde. Die stärkere Orientierung auf Klimagerechtigkeit und nachhaltiges Bauen trägt dazu bei, neue Standards zu schaffen und zu verbreiten. Und wer, wenn nicht die öffentliche Hand, sollte vorangehen? Unter diesen Rahmenbedingungen wird das Bauen scheinbar erst einmal teurer, ja. Aber berechnen wir die Kosten und Umweltlasten im gesamten Lebenszyklus von Gebäuden mit ein, steht das nachhaltige gegenüber dem konventionellen Bauen nicht unbedingt schlechter da. Ein Blick auf den Abriss der ehemaligen Poelchau-Schule hier am Halemweg macht deutlich, was ich meine. Die Entsorgung der Schadstoffe verschlingt Unsummen, abgesehen vom Zeitplan, der längst Makulatur ist. Umso besser, dass das Programm Nachhaltige Erneuerung ganz andere Anreize schafft. Wünschenswert wäre es, wenn auch private Eigentümer über das Programm stärker angeregt würden, nachhaltig in Bestand und Neubau zu investieren. Dann stünden nicht allein die Rendite-Erwartungen im Vordergrund. Mein Gefühl ist, dass Teile der Privatwirtschaft durchaus bereit sind, sich dem nachhaltigen Bauen zu öffnen. Das wäre gut, denn weniger Beton schafft ein besseres Klima. Das sind wir unseren Kindern schuldig.

Beteiligung der Kinder 2018: Modell des Spielplatzes U-Bhf. Halemweg

Apropos Kinder: Welche Rolle spielen deren Belange im Fördergebiet?

Eine sehr wichtige! Und deshalb profitieren von den ersten drei großen Projekten die Kinder. Deren Beteiligung läuft in unserem Gebiet eben nicht pro-forma. Im Gegenteil, wir haben Formen gefunden, auch die Ideen der Jüngsten umzusetzen. Wenn wir noch in diesem Sommer diesen schönen Spielplatz als ersten Bauabschnitt am Grünzug Halemweg-Popitzweg freigeben, zeigt sich der Sinn von Bürgerbeteiligung. Es waren viele Hemmnisse dafür aus dem Weg zu räumen. Das ist gelungen und darauf bin ich ein wenig stolz: Ich wollte immer einen Beruf, bei dem man die Welt ein bisschen besser machen kann!

Stand: August 2023